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von Dr. med. Konstantin Wagner

30.12.2018

Was ist Vaginal Seeding?

Aus Ame­ri­ka und Aus­tra­li­en schwappt ein Trend nach Eu­ro­pa: va­gi­nal see­ding (VS). Das Be­imp­fen von Kai­ser­schnitt Ba­bys mit Va­gi­nal­se­kret der Mut­ter. Wie­der so ein ver­rück­ter Hype aus Über­see, oder ist et­was dran?

Der Hin­ter­grund: wir wis­sen schon lan­ge, dass die Schei­den­flo­ra ein wah­res Bio­top für Bak­te­ri­en al­ler Art sind. Al­len vor­an s.g. Lak­toba­zil­len, Pre­vo­tel­la und Fu­so­bak­te­ri­en. Die­se wie­der­um sind ein gu­tes Bei­spiel da­für, dass das Wort Keim oder Bak­te­ri­um nicht nur ne­ga­tiv kon­no­tiert wer­den soll­te. Wir be­stehen viel mehr aus Bak­te­ri­en, als aus Mensch. Ohne un­se­re Mil­lio­nen Bak­te­ri­en in und an uns gäbe es die Spe­zi­es Mensch schon lan­ge nicht mehr. Aber wie kom­men wir an die­se nütz­li­chen Kei­me dran? Ebay? Ama­zon? Ein­fa­cher und ohne Por­to. Fast 30 % der für das Kind nütz­li­chen Bak­te­ri­en stam­men aus der Mut­ter­milch, wei­te­re 10 % von der Haut der Mut­ter.

Was wir au­ßer­dem schon lan­ge wis­sen: Lak­toba­zil­len sind nicht nur wich­tig für das neu­ge­bo­re­ne Im­mun­sys­tem, son­dern auch für die Darm­flo­ra, wel­che sich be­son­ders erst durch die­se Kei­me ent­wi­ckeln und spe­zia­li­sie­ren kann. Bei ei­ner va­gi­na­len Ge­burt wird das Kind also erst­mal durch ei­nen Schlauch voll Do­ping Mit­tel ge­drückt. Tol­le Sa­che. Aber was ist mit Kai­ser­schnitt Kin­dern? Die gab es in den letz­ten Jahr­zehn­ten im­mer häu­fi­ger und die meis­ten sind doch auch ge­sund. Stimmt. Aber seit­her neh­men auch Au­to­im­mun­erkran­kun­gen und All­er­gi­en, Dia­be­tes Typ I und Adi­po­si­tas zu. Rein evo­lu­ti­ons­bio­lo­gisch macht VS Sinn. Mil­lio­nen Jah­re wur­de das Schei­den­süpp­chen ver­fei­nert und op­ti­miert. Das Glei­che gilt eben­so für Mut­ter­milch. Das Prin­zip bei der Spon­tan­ge­burt gilt eben­so für den Kai­ser­schnitt: Die Mut­ter "be­impft" ihr Kind nach der Kai­ser­schnitt Ge­burt mit ih­rem va­gi­na­lem Se­kret und sorgt so für per­fek­te Vor­aus­set­zun­gen für ein ge­sun­des Le­ben. Kri­ti­ker mah­nen vor der mög­li­chen Über­tra­gung von Krank­heits­er­re­gern, die die Mut­ter asym­pto­ma­tisch in der Schei­de tra­gen kann und dem Kind scha­den könn­ten. Dazu ge­hö­ren die Grup­pe-B-Strep­to­kok­ken, das Her­pes-sim­plex-Vi­rus, Chla­my­dia tracho­ma­tis und Neis­se­ria go­nor­rhoeae. In der Theo­rie nach­voll­zieh­bar, doch gilt das dann ent­spre­chend auch für jede va­gi­na­le Ge­burt. In Deutsch­land kön­nen sich Schwan­ge­re auf sol­che Er­re­ger tes­ten las­sen. Wenn man sich für va­gi­nal see­ding ent­schei­det soll­te man un­mit­tel­bar zu­vor kei­ne An­ti­bio­ti­ka­the­ra­pie durch­lau­fen ha­ben und auch auf die Schei­den­des­in­fek­ti­on vor OP - wie sie in man­chen Kli­ni­ken prak­ti­ziert wird - soll­te ver­zich­tet wer­den.

Mei­ne per­sön­li­che Mei­nung ist: Die Theo­rie hin­ter der VS Me­tho­de ist ziem­lich plau­si­bel und bio...lo­gisch (Ach­tung Wort­witz). Die Vor­tei­le lie­gen auf der Hand. Mo­men­tan lau­fen ei­ni­ge Stu­di­en, die das The­ma va­gi­nal see­ding be­ar­bei­ten. Auf die end­gül­ti­gen Er­geb­nis­se darf man ge­spannt sein. Ob man bis zur end­gül­ti­gen fak­ti­schen Da­ten­la­ge die­ser Stu­di­en schon va­gi­nal see­ding ma­chen soll­te, muss je­des Paar selbst ent­schei­den und vor­her mit der ent­spre­chen­den Ge­burts­in­sti­tu­ti­on klä­ren. Auf­pas­sen soll­te man, wenn Kli­ni­ken mit va­gi­nal see­ding "wer­ben", um den An­schein zu sug­ge­rie­ren "up to date" zu sein. Ohne ent­spre­chen­de Stu­di­en­ergeb­nis­se und den Nach­weis "es hilft" schwarz auf weiß zu ha­ben fin­de ich jede Wer­bung da­für un­ethisch.



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Dr. med. Konstantin Wagner

Hallo, ich heiße Konstantin und bin Facharzt für Gynäkologie und Geburtsmedizin. Nach meinem Medizinstudium in München habe ich von 2015 bis 2020 in einer maximalversorgenden Klinik in Kassel gearbeitet. Dort hatte ich es mit unzähligen spannenden Fällen zu tun, betreute hunderte Geburten und sammelte einen großen medizinischen Erfahrungsschatz. Seit 2020 widme ich mich der niedergelassenen Tätigkeit in meiner eigenen gynäkologischen Praxis in Kassel.

Im Kon­takt mit mei­nen Pa­ti­en­tin­nen wur­de mir be­wusst, wie schwer es me­di­zi­ni­schen Lai­en oft fällt, ech­te Fach­in­for­ma­tio­nen von My­then und In­ter­net-Pa­nik­ma­che zu un­ter­schei­den. Ich habe es mir da­her zur Auf­ga­be ge­macht, fun­dier­tes Wis­sen zu mei­nen Fach­ge­bie­ten zur Ver­fü­gung zu stel­len – in ver­schie­dens­ten For­ma­ten so­wie auf nach­voll­zieh­ba­re und kurz­wei­li­ge Wei­se.